„Vom Helden zum Sündenbock!“

Unterstützung, Zusammenhalt und Solidarität sind nicht nur treffende Attribute im Sport-Geschehen, sondern auch über viele Bereiche hinweg!

Im Zusammenhang mit der aktuellen Covid-19 Situation sollten diese Attribute wohl insbesondere auf das Gesundheitswesen, das hart arbeitende Pflegepersonal und unsere ganze Gesellschaft zutreffen.

Es betrifft uns Alle, denn wir Alle wünschen uns nach und nach die Normalität zurück. Mit Mut, Optimismus und Rückhalt von allen Seiten kann es schneller und besser klappen!


Ein Bericht der Märkischen Allgemeinen Zeitung

von Saskia Kirf, Samstag, 9. Mai 2020

„Nach diesem Dienst habe ich geheult“
Bettina Schade betreute im Bergmann-Klinikum die ersten Corona-Patienten und sah die ersten Toten – Sie erlebte auch, wie schnell man vom Helden zum Sündenbock wird.

Potsdam. Bettina Schade hat alles gesehen. Doch das sieht man ihr nicht an. Nicht den Druck, nicht die Anstrengung und die Toten – auch nicht die Erfolge, die vielen Patienten, die sie erholt, gerettet nach Hause schicken konnte. Seit 27 Jahren arbeitet die zierliche Frau am Klinikum „Ernst von Bergmann“, sie hat hier ihre Ausbildung absolviert, seit 1996 ist sie Krankenschwester. Die letzten acht Jahre tat Bettina Schade ihren Dienst auf der Infektiologie. Seit Ende März leitet sie die Station, auf die derzeit alle schauen: die Covid-Station im Bergmann-Klinikum.

Drei Covid-Normalstationen gab es zwischenzeitlich, dazu eine, die den Intensiv-Patienten mit der schweren, bisweilen tödlichen Lungenkrankheit vorbehalten ist. 144 Covid-Patienten wurden bislang insgesamt im Klinikum behandelt, davon fast 100 zeitgleich. Viele hatten sich wohl sogar im Haus angesteckt, auf den Stationen, auf denen sie eigentlich genesen sollten. Auch das Personal ist vom Sars-Cov-2-Virus nicht verschont geblieben. 210 Mitarbeiter wurden positiv getestet, knapp zwei Drittel davon sind Pflegekräfte.

Als Schwester auf der Infektiologie hatte Bettina Schade schon früh die ersten Covid-Patienten betreut. Auch die zunehmende Zahl von angesteckten Kollegen kann ihr nicht verborgen geblieben sein. Angst habe sie trotzdem nicht, sagt sie. „Ich habe Respekt, das ist alles. Aber ich arbeite unter Vollschutz, ich habe ausreichend Schutzkleidung.“ Alle vier Tage wird sie mittlerweile abgestrichen, jeder Test war negativ. „Die Arbeit in der Pflege ist eigentlich die selbe wie vorher“, sagt Bettina Schade. „Abgesehen vom extremen Schutz.“

Und trotzdem macht die Corona-Pandemie etwas mit der erfahrenen Krankenschwester. Zum einen sei da der enorme Druck, gerade zu Anfang der Krankheitswelle, zu deren lokalem Hotspot sich Potsdam und besonders das Klinikum entwickelt haben. Zwei Patienten, die Bettina Schade gerade erst aufgenommen hatte, starben damals. Der Tod kam sehr schnell. „Das war ein Dienst, nach dem ich ins Auto gestiegen bin und geheult habe“, sagt sie. Im Team, auch in der Familie, werde miteinander gesprochen, der Rückhalt sei groß. In der Öffentlichkeit aber, und auch das bewegt die Pflegerin, habe sich die Wahrnehmung gewandelt. „Am Anfang haben alle geklatscht, dann waren wir auf einmal die, die unseren Patienten diese Krankheit angehext haben“, sagt Bettina Schade. „Es gab dieses Banner, auf dem uns für die Arbeit gedankt wurde. Auf einmal war das weg.“ Eine Zeitung hatte das Bergmann-Klinikum da gerade als „Todesklinik“ bezeichnet.

Diesen Vorwurf findet Bettina Schade nicht fair. „Die Ansteckungen gab es, klar, aber das war zu einem Zeitpunkt, als die Fälle einfach noch nicht bekannt waren“, sagt sie. Kein Krankenhaus in ganz Deutschland hat damals, Ende März, auf Verdacht alle Patienten getestet. Das kommunale Klinikum macht das, nachdem klar wird, dass es auf der Geriatrie einen Covid-Ausbruch gab. Experten des Robert-Koch-Instituts nehmen das Krankenhaus unter die Lupe, stellen neben schweren hygienischen Mängeln auch ein Organisationsversagen der Klinik-Chefs fest. Diese werden schließlich abgesetzt. Bettina Schade organisiert zur selben Zeit ihr neues Pflegeteam auf der Covid-Station.

„Wir haben das natürlich alles mitbekommen, wir lesen ja Zeitung“, sagt sie. „Aber das hat uns in dem Moment nicht betroffen. Wir haben Patienten zu versorgen.“ Kritiklos steht sie ihrem Arbeitgeber dabei nicht gegenüber. „Am Anfang hat es an Transparenz und Kommunikation ganz klar gemangelt“, sagt sie. Aber im Alltag gebe es akute, wichtigere Fragen: wie man die schwere körperliche Arbeit unter der warmen Schutzkleidung übersteht, wie der eigene Haushalt und die Familie und eben die Station organisiert werden, wie es den Patienten geht, wie mit deren Angehörigen kommuniziert werden kann, wie eine Geburtstagsfeier in der Isolation zu managen ist – und welche Auswirkungen die Situation auf jede und jeden Einzelnen hat. Reflektion, im ganz buchstäblichen Sinn: Auf der Station haben Schade und ihre Kollegen eine Spiegelfolie installiert, um immer wieder den Sitz der Schutzkleidung zu überprüfen.

Und noch etwas hat sich verändert im Lauf der Krisen-Wochen. „Mir schicken ständig Menschen, auch Freunde, irgendwelche angeblichen Wahrheiten aus dem Internet“, sagt Bettina Schade. Da stehe dann alles, von der Behauptung, die Krankheit sei ja gar nicht so schlimm, bis hin zu Verschwörungstheorien. Verstehen kann die Krankenschwester das nicht. „Die wollen dann ein Statement von mir, besser gesagt eine Bestätigung. Aber ich ignoriere das. Ich weiß, was ich gesehen und erlebt habe.“

43 Menschen mit dem Virus sind im Klinikum gestorben. Zwei Wochen nach dem Ausbruch auf der Geriatrie, am Ostersonntag, wurden 18 Covid-Patienten beatmet, weil ihre Lunge versagt hatte. Mittlerweile hat sich die Situation beruhigt, vier Patienten brauchen noch Sauerstoffzufuhr, das Klinikum nimmt mittlerweile Covid-Fälle aus anderen Häusern auf. Und Bettina Schade weiß nicht genau, wie es weitergeht. Eine der beiden Covid-Normalstationen ist bereits geschlossen, die zweite wird an diesem Freitag dicht gemacht. Ihre eigene Station bleibt, vorerst. „Ich weiß nicht, auf welcher Station ich in ein paar Wochen oder Monaten bin“, sagt Bettina Schade. „Aber ich bin auf jeden Fall weiter Krankenschwester hier.“

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