Die EM als Wegweiser für die Zukunft

Para Schwimmen-Europameisterschaften: Torben Schmidtke trotzt einem verkorksten Jahr mit mehreren Hiobsbotschaften und kämpft sich mit Spaß zurück, doch die Perspektive ist ungewiss. Frechen, 8. August 2018. Torben Schmidtke weiß, wie schön sich sportlicher Erfolg anfühlt: Silber und Bronze bei den Paralympischen Spielen, Weltrekorde und zahlreiche Medaillen bei Welt- und Europameisterschaften hat er in seiner Sammlung. Doch ganz nach oben aufs Treppchen schaffte es der 29-jährige Para Schwimmer bei internationalen Titelkämpfen noch nicht. Und die Vorzeichen dafür haben sich deutlich verschlechtert. Hinter Torben Schmidtke liegt ein verkorkstes Jahr mit zahlreichen Rückschlägen. Die Europameisterschaften im Para Schwimmen in Dublin (13. bis 19. August) werden für ihn zum Wegweiser für die Zukunft.

Im Trainingslager auf Lanzarote versucht Torben Schmidtke so gut es geht Schadensbegrenzung zu betreiben. Die Kunst ist es, sich in acht Wochen in bestmögliche körperliche Verfassung und in EM-Form zu bringen. „Mit intensivem Training werde ich jetzt das Beste aus dieser Situation machen“, sagt der Athlet des SC Potsdam, der sich in über zehn Jahren Leistungssport ein gutes Grundlagenniveau antrainiert hat. Die angesprochene Situation hatte ihren Ursprung schon im Sommer 2017. Windpocken im Trainingslager verhinderten einen Start bei der letztjährigen WM in Mexiko. Diese musste zwar aufgrund des schlimmen Erdbebens in den Dezember verschoben werden, doch auch zu diesem Zeitpunkt war an eine Teilnahme nicht zu denken. „Ich habe hart trainiert, aber es ging gar nichts. Ich konnte einfach nicht schnell schwimmen und habe mich richtig schlecht gefühlt“, berichtet Schmidtke rückblickend.

Harte Rückschläge: Windpocken und eine neue Startklasse

Bei der mühsamen Ursachenforschung landeten die Ärzte wieder beim Ursprung: den Windpocken. Schmidtke erwischte ein aggressives Virus, das den Körper nachhaltig schwächte. Acht Wochen Zwangspause wurden verordnet – mitten in der EM-Vorbereitung. Statt des wichtigen Grundlagentrainings musste sich der 29-Jährige schonen. Und hatte noch einen weiteren herben Rückschlag zu verkraften. Im Zuge der Überprüfung der Klassifizierung, der sich alle Schwimmerinnen und Schwimmer auf Anordnung von World Para Swimming unterziehen mussten, folgte der Schock. Startete Schmidtke zuvor über seine Paradestrecke 100 Meter Brust in der Starklasse SB6, muss er künftig in der SB7 gegen noch schnellere, weil weniger beeinträchtigte Konkurrenten antreten – so das Resultat der Klassifizierung im Februar in Kopenhagen.

Akzeptiert hat er das Ergebnis noch immer nicht, zu subjektiv könne bei den Messungen vorgegangen werden. Doch nach weiteren Überprüfungen in Kopenhagen und im Juni in Berlin bleibt ihm wohl nichts anderes übrig, als sich damit abzufinden. „Das war sehr schwer zu verdauen. Man fühlt sich sehr niedergeschlagen, wenn man plötzlich raus ist. Ich weiß, dass ich weltweit gesehen in dieser Startklasse eigentlich keine Chance habe. Die Weltspitze ist mir einige Sekunden voraus, selbst wenn ich wieder im Bereich meiner Bestzeit schwimmen sollte – das ist schon eine harte Erkenntnis“, konstatiert Schmidtke, dessen Beine und der linke Arm nicht vollständig ausgebildet sind (Dysmelie). Bundestrainerin Ute Schinkitz ergänzt: „Die Enttäuschung war auch deshalb so groß, weil ihm jahrelanges Tüfteln mit Blick auf einen möglichst effektiven Beinschlag mit seinen Dysmelien beim Wassertest im Rahmen der Klassifizierung nun zum Nachteil ausgelegt wurde.“

Lange hängen lassen hat sich der 29-jährige Schweriner dennoch nicht. Geholfen haben ihm dabei vor allem seine Familie, Freunde und das Trainerteam. Schmidtke rappelte sich wieder auf und arbeitet ehrgeizig – auch wenn acht Wochen Vorbereitungszeit für einen Schwimmer ziemlich wenig sind. „Das Training macht mir trotz allem weiter Spaß, den sollte man sich auch nicht nehmen lassen. Ich betreibe seit 14 Jahren Leistungssport und habe schon tolle Erfolge gefeiert, Schwimmen ist meine Leidenschaft“, sagt Schmidtke, der Mitglied im Top Team des Deutschen Behindertensportverbandes ist.

Schmidtke: „Nach der EM werden wir sehen, in welche Richtung es geht“

Längerfristig nach vorne blicken will er derzeit dennoch nicht. „Ich möchte erst abwarten, wie die EM läuft und dann werden wir sehen, in welche Richtung es geht“, erklärt Schmidtke. Somit werden die Europameisterschaften in Dublin gewissermaßen zum Wegweiser für seine sportliche Zukunft. „Ich werde auf neue Gegner treffen und muss selbst erst einmal gucken, wer da jetzt neben mir schwimmt“, sagt der zweimalige Paralympics-Medaillengewinner schmunzelnd. Torben Schmidtke ist bei der EM eine Wundertüte. Er werde mit freiem Kopf und ohne große Erwartungen an den Start gehen und freue sich sehr über die Unterstützung von Familie und Freunden vor Ort. „Und dann schauen wir mal, was dabei herauskommt. Vielleicht hilft ja auch die Lockerheit.“ Die Hiobsbotschaften, so scheint es, hat der 29-Jährige gut weggesteckt.

Und das Jahr 2018 hatte für den Schwimmer des SC Potsdam auch nicht nur schlechte Nachrichten parat. Zum 1. Januar wurde Torben Schmidtke Beamter auf Probe bei der Bundespolizei, für die er bereits seit 2013 im Referat Materialmanagement tätig ist. Die Entstehungsgeschichte ist etwas kurios. Bei der Verleihung des Silbernen Lorbeerblattes nach den Paralympics in London 2012 traf er auf den damaligen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich. „Ich habe ihn einfach angesprochen, ob er einen Job für mich hat“, erzählt Schmidtke lachend. Und es klappte. Ein Glückstreffer. „Ich bin sehr dankbar dafür und habe bei der Arbeit viele Freiräume. Meine Kollegen unterstützen mich nicht nur in dieser Hinsicht wahnsinnig gut, sondern verfolgen meine Wettkämpfe auch im Livestream oder manchmal sogar in der Halle.“

Die Kombination aus Leistungssport und Beruf passt damit hervorragend. Bei den Europameisterschaften in Dublin wird sich zeigen, ob Schmidtke sich auch sportlich wieder zurückkämpfen kann nach den vielen Rückschlägen zuletzt. Doch aufgeben, das hat er schon jetzt bewiesen, ist nicht sein Ding. Und auch wenn die Perspektive derzeit eher bescheiden scheint: Vielleicht gelingt es ihm ja doch, wieder an alte Erfolge wie in London oder Rio anzuknüpfen, aus denen er in schlechten Phasen viel Energie und Kraft zieht. Abschreiben, so viel steht fest, sollte man Torben Schmidtke definitiv noch nicht.

Mehr zum Top Team, das von der Allianz Deutschland AG, der Sparkassen-Finanzgruppe, der Deutschen Telekom AG und der Toyota Deutschland GmbH gefördert wird, zum Hintergrund und zum Kader finden Sie auf der Internetseite der Deutschen Paralympischen Mannschaft.

Mehr Neulinge als alte Hasen

Über die Hälfte des deutschen Aufgebots wird bei den Para Schwimmen-Europameisterschaften in Dublin vom 13. bis 19. August ihre Premiere auf internationaler Bühne feiern. So wird Bundestrainerin Ute Schinkitz mit zehn Neulingen unter den 19 Athletinnen und Athleten nach Irland reisen. Während es für die Debütanten um neue Erfahrungen geht, wollen die Ambitionierten in den Kampf um Edelmetall eingreifen.

„Wer schon Medaillen gewonnen hat, der will auch wieder eine haben“, stellt Ute Schinkitz klar. Dabei denkt sie in erster Linie an die drei Medaillengewinner der Paralympics von Rio 2016. Allerdings lief die Vorbereitung für Denise Grahl, Maike Naomi Schnittger und Torben Schmidtke nicht reibungslos und ohne Störungen. Schmidtke wird nach längerer Ausfallzeit und in der neuen Starklasse über seine Paradedisziplin 100 Meter Brust eine Wundertüte und Schnittger plagte sich zunächst mit einer Handverletzung und nun mit einem Infekt. Sie war jedoch in diesem Jahr schon ebenso schnell unterwegs wie Denise Grahl, der über 50 Meter Freistil sogar ein Europarekord gelang. Doch auch Grahl musste krankheitsbedingt aussetzen, hinzu kommt die Doppelbelastung aus Arbeit und Training. Medaillen möchte sie auf dem Rückflug dennoch mit ins Gepäck nehmen. Leider verletzt ausfallen wird mit Janina Breuer die Paralympics-Teilnehmerin 2016 und Doppel-Weltmeisterin von 2017.

Ebenfalls in Richtung Edelmetall schielen Verena Schott, Elena Krawzow sowie auch Daniel Simon und Tobias Pollap. Simon überraschte in dieser Saison bei den Internationalen Deutschen Meisterschaften in Berlin mit deutschen Rekorden über 50 Meter Brust und 100 Meter Schmetterling. Ebenfalls einen deutschen Rekord knackte Taliso Engel über 100 Meter Brust. Das Bemerkenswerte: Die Bestzeit hatte weit über ein Jahrzehnt Bestand und wurde aufgestellt von Daniel Clausner, Paralympics-Sieger 2004 in Athen. Weiteres bemerkenswertes Detail: Der sehbehinderte Taliso Engel ist gerade einmal 16 Jahre alt und erlebt nach 2016 nun bereits seine zweite EM.

Daneben könnte das Motto lauten: „Jugend forscht“. Die jüngsten Teilnehmer unter den zehn Debütanten sind die 15-jährigen Neele Labudda und Josia Topf. Insgesamt beträgt das Durchschnittsalter des deutschen Teams nur gut 20,5 Jahre. „Eine EM ist immer eine gute Gelegenheit, um reinzuschnuppern und internationale Erfahrungen zu sammeln“, erklärt Bundestrainerin Schinkitz und betont aber: „Es geht auch um persönliche Bestzeiten zum Höhepunkt. Alle haben Chancen auf eine Finalteilnahme. Allerdings ist eine WM schon noch eine andere Hausnummer und das weltweite Niveau deutlich höher.“ Hier sei es die Aufgabe, optimale Trainingsbedingungen in Verbindung mit Schule, Ausbildung oder Beruf zu schaffen, um sich Schritt für Schritt weiterzuentwickeln. „Sonst wird es schwierig, mit der weltweiten Konkurrenz mitzuhalten“, sagt Schinkitz. Wie gut sich ihre Athletinnen und Athleten im europäischen Vergleich verkaufen werden, wird sich ab dem 13. August in Dublin zeigen.

Das deutsche EM-Aufgebot 2018:

Jasmin Beutler (17, Cottbus, SC Potsdam), Gina Böttcher (17, Brandenburg an der Havel, SC Potsdam), Malte Braunschweig (18, Berlin, Berliner Schwimmteam), Fabian Brune (17, Attendorn, VfG Finnentrop), Marlene Endrolath (17, Göppingen, Berliner Schwimmteam), Taliso Engel (16, Lauf an der Pegnitz, SG Bayer), Denise Grahl (25, Schwerin, Hanse SV Rostock), Adam Karas (17, Unna, Schwimmfreunde Unna), Elena Krawzow (24, Nowowoskresenowka/Kasachstan, PSC Berlin), Neele Labudda (15, Lübeck, Hanse SV Rostock), Tobias Pollap (32, Hattingen, SG Bayer), Katherina Rösler (16, Rostock, Hanse SV Rostock), Torben Schmidtke (29, Schwerin, SC Potsdam), Maike Naomi Schnittger (24, Yokohama/Japan, SC Potsdam), Verena Schott (29, Greifswald, BPRSV Cottbus), Daniel Simon (29, Darmstadt, VSG Darmstadt), Peggy Sonntag (19, Oschatz, BV Leipzig), Josia Topf (15, Erlangen, SV Erlangen), Johannes Weinberg (16, Oberstdorf, TV 1860 Immenstadt).

Text: Kevin Müller Stv. Leitung Kommunikation & Events/ Deutscher Behindertensportverband e.V
Foto: „Andreas Joneck / DBS“, mit Medaille „Uli Gasper / DBS“.

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